Runder Tisch Drei: Private Öffentlichkeit, öffentliche Privatheit
13. September
10:00 bis 11:30

Runder Tisch Drei: Private Öffentlichkeit, öffentliche Privatheit

Über die Dringlichkeit sozio-politischer Fragen

Symposium / Geschichtswerkstatt Halle-Neustadt

Politische Auseinandersetzungen mit, und ökonomische Konsequenzen aus der Wiedervereinigung stehen im Fokus des Runden Tisches „Private Öffentlichkeit, öffentliche Privatheit: Über die Dringlichkeit sozio-politischer Fragen“. Noch immer gilt der Osten der Bundesrepublik als politischer Sonderfall, welcher nicht selten zum Problemfall umgedeutet wird. Vor diesem Hintergrund verhandelt der runde Tisch die Frage: Welche politischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart speisen sich aus dem Erbe der deutschen Einheit? Die Vortragenden am Tisch machen sozialpolitische und wirtschaftliche Effekte der ostdeutschen Transformation sicht- und messbar. Anhand empirischer Beispiele zu ökonomischen Verlusten in Ostdeutschland, räumlicher Segregation in Halle-Neustadt oder ostdeutscher Identitätskonstruktion nach der Wende wird das Erbe der Wiedervereinigung als politisches Phänomen der Gegenwart adressiert.

Mit:
PD Dr. Matthias Bernt (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung e.V., Erkner)
Dr. Jakob Hartl (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Markus Sattler, M.A. (Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig)
Lukas Schwemmbauer, M.A. (Universität Leipzig)

Moderation: Dr. Mareike Pampus (Martin-Luther-Universität und Agentur für Aufbruch)

Bild: ©Felix Schiedlowski

Eintritt frei

Keine Voranmeldung nötig

Matthias Bernt: Die Segregationsmaschine: Wie prägen vergangene politische Entscheidungen heutige sozialräumliche Spaltungen?

Wie viele ostdeutsche Großwohnsiedlungen ist Halle-Neustadt in den letzten beiden Jahrzehnten zum Schauplatz einer verstärkten Konzentration einkommensschwacher Haushalte geworden. Der Beitrag diskutiert die politischen Weichenstellungen, die diese Entwicklung begünstigt und vorangetrieben haben. Dabei konzentriert er sich auf vier Komplexe: a) die Privatisierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen nach dem „Altschuldenhilfegesetz“, b) die Implikationen des „Stadtumbau Ost“, c) die Hartz IV- Sozialreformen und d) das deutsche Asylrecht. Gemeinsam haben diese Entwicklungen die Herausbildung einer ‚Segregationsmaschine‘ ermöglicht, die eine laufende Verschiebung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen in die Großwohnsiedlungen produziert.

Jakob Hartl: Zusammenhalt im Plattenbau

Die Großwohnsiedlungen der Ostmoderne zeichneten sich unmittelbar nach der Wende durch Abwanderung und Rückbau aus; die stadträumliche Randlage wurde häufig zur sozialen Marginalisierung. In der Folge entwickelte sich ein Image von Plattenbauten als Orte der Abgehängten und Isolierten. Zugleich entwickelte sich vielerorts eine eigene Stadtteilgesellschaft mit ihren eigenen Wanderungs- und Bleibedynamiken und eigenen Formen des nachbarschaftlichen Zusammenhalts. In dem Beitrag soll aufgrund einer repräsentativen Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt thematisiert werden, wie diese Formen aussehen, inwiefern sie sich zwischen Stadtteilen und insbesondere in Großwohnsiedlungen unterscheiden, und warum wir Großwohnsiedlungen wie HaNeu stets relational, also in Beziehung zum gesamten Stadtraum, betrachten sollten.

Markus Sattler: Unterdrückte sozialistische Träume und politisch induzierte Amnesien in Georgien: Die Diversität der Sozialismen für eine radikalere Zukunft nutzen!

Seit der wiedergewonnenen Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 ist die Stadt- und Regionalentwicklung in Georgien vor allem von privaten statt staatlichen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren geprägt. Staus, Mangel an Grünflächen und ungeplanter Wohnungsbau in der Hauptstadt, einerseits und Verwahrlosung der Peripherien, andererseits sind dabei lediglich zwei Seiten derselben Medaille. Postsozialismus im georgischen Kontext ist dabei weniger als Kontinuität mit, vielmehr als kapitalistische Austreibung von sowjetischer Vergangenheit zu verstehen. Dieser Vortrag geht den politischen Potentialen nach, die von einem anders gearteten Postsozialismusbegriff ausgehen könnten, der zwei Beobachtungen ernster nimmt: Erstens, die Träume und Erinnerungen der ehemaligen Arbeiter*innenklasse, die am meisten unter dem anti-kommunistischen Postsozialismus leidet und unterdrückte Zeitzeug:innen einer alternativen Zukunft sind. Zweitens, politisch induzierte Amnesien über eine Vielzahl von sozialistischen Experimenten einer vorsowjetischen Zeit, die primär unter dem Gesichtspunkt des anti-russischen Widerstands gedeutet werden, aber Ausgangspunkte einer noch viel radikaleren Umdeutung der Produktions- und Lebensverhältnisse sein könnten – nicht nur in Georgien.

Lukas Schwemmbauer: Die politische Kategorie „Ostdeutsch“ als Legitimationsressource und symbolische Grenze

Das Sprechen über Ostdeutschland und Ostdeutsche im Bundestag ist ein zentraler Bestandteil der Produktion eines deutschen Nationalverständnisses nach 1990 (vgl. Anderson 2006). Die Kategorie „Ostdeutsch“ repräsentiert dabei nationale Defizite und Potenziale. Diese gilt es zu überwinden oder zu nutzen – in jedem Fall zu bearbeiten – um die nationale Utopie Deutsche Einheit zu realisieren. Die Artikulation der kollektiven Fremdzuschreibung Ostdeutsch dient somit auch der strategischen Konstruktion und Legitimierung politischer Handlungsoptionen, wobei Differenzierungen zutage treten, die auf symbolische Grenzen nationaler Identität hinweisen. Mögliche daraus abgeleitete Fragestellungen für die Diskussionsrunde sind:

  • Welche Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft, Defizit und Potenzial, Dystopie und Utopie repräsentiert Halle-Neustadt und welche (politischen) Handlungsoptionen werden damit verknüpft?

  • Welche symbolischen Grenzen verlaufen zwischen Halle-Neustadt und dem restlichen Stadtgebiet, welche (demographischen, ökonomischen, architektonischen, politischen) Differenzen verlaufen innerhalb Halle-Neustadts?
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