Runder Tisch Zwei: Brüchige Kontinuitäten
12. September
15:00 bis 16:30

Runder Tisch Zwei: Brüchige Kontinuitäten

Ostdeutsche Perspektiven auf Wandel und Erneuerung

Symposium / Prisma Cinema Halle-Neustadt

Im Rahmen des zweiten Rund-Tisch-Gesprächs „Brüchige Kontinuitäten: Ostdeutsche Perspektiven auf Wandel und Erneuerung“ werden die Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die Vor- und Rückblicke in unterschiedlichen Praktiken beleuchtet, um ein tieferes Verständnis davon zu gewinnen, wie Wandel im Alltag stattfindet und wie Umbrüche erlebt, verarbeitet und reflektiert werden. Ein zentraler Schwerpunkt liegt auf der sogenannten „Wende“ – den als Zäsur in allen gesellschaftlichen Bereichen beschriebenen Ereignissen um 1989/90 – und deren unmittelbare Auswirkungen auf künstlerische Praxis. Ein weiterer Fokus liegt auf der Konstruktion ostdeutscher Identitäten und diese bestimmenden (zeitlichen) Referenzen. Außerdem wird das Verhältnis der DDR- und der bundesdeutschen Gesellschaft zu Wandel untersucht, insbesondere in Bezug auf Kontinuitäten und Brüche in ostdeutschen Erfahrungen.

Mit:
Prof. Dr. Stephan Pabst (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Dr. Anne Pfautsch (Kunsthistorikerin und Kuratorin)
Elske Rosenfeld (Künstlerin, Autorin und Kulturarbeiterin)
Andrea Wieloch (Leiterin des Museum Utopie und Alltag, Eisenhüttenstadt)

Moderation: Daniel Herrmann

Bild: ©Felix Schiedlowski

Eintritt frei

Keine Voranmeldung nötig

Aufzug vorhanden

Behindertengerechte Toiletten vorhanden

Stephan Pabst: „ich fühle mich in grenzen wohl“. Neue ‚ostdeutsche‘ Literatur

Der Literaturwissenschaftler Stephan Pabst hat sich intensiv mit der Literatur aus der DDR und ihrem Nachleben beschäftigt. Sein besonderes Interesse galt jenen Texten, die von Halle-Neustadt handeln. Zuletzt standen immer wieder Fragen nach dem literarischen Niederschlag des postsozialistischen Transformationsprozesses im Zentrum seiner Arbeit. In seinem Referat geht es um die Vielzahl von Texten jüngerer ostdeutscher Autor_innen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Während man lange Zeit davon ausging, dass sich der politische und soziale Sonderfall mit der Zeit an die bundesrepublikanische Norm(alität) anpassen würde, insistieren diese Texte auch unter dem Eindruck der Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern auf der ostdeutschen Differenz und verbinden das häufig mit Konzepten einer genuin ostdeutschen Identität. Sie stecken in einem Dilemma des analytischen Differenzbewusstseins und der willfährigen Selbststigmatisierung. Das Referat geht der Frage nach, ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt.

Anne Pfautsch: OSTKREUZ – Agentur der Fotografen: dem Unbekannten kollektiv entgegentreten

OSTKREUZ - Agentur der Fotografen wurde 1990 von sieben DDR-Fotograf*innen als Überlebensstrategie gegründet, um ihre Arbeit als Fotograf*innen im wiedervereinigten Deutschland fortzusetzen und gemeinsam die fundamentalen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Nachwendezeit zu bewältigen. Die Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer war geprägt von mangelndem Wissen über und großem Interesse an der ehemaligen DDR, und Fotografie war ein wirkungsvolles Instrument, um die ehemalige DDR indirekt zu erfahren. Ostkreuz-Fotograf*innen wurden von westdeutschen/europäischen Zeitschriften als „Expert*innen des Ostens“ bezeichnet und beauftragt, ihr Herkunftsland zu porträtieren. Ausgehend von der Annahme, dass sich vierzig Jahre sozialistischer Geschichte, Kultur und Sozialisation nach 1989 nicht in Luft aufgelöst haben, geht der Vortrag der Frage nach, ob mit der DDR verbundene soziale und kulturelle Identitäten in einem postsozialistischen Deutschland in der Agentur fortbestehen und ob Ostkreuz den Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus erfolgreich bewältigt hat.

Elske Rosenfeld: ARCHIVE OF GESTURES: künstlerische Forschung zu Gesten des Politischen in Revolution und Protest ab 1989/90

Während der Revolution von 1989/90 praktizierten Protagonist*innen eine kollektive Selbstermächtigung „von unten“, die mit der Einsetzung etablierter (westlicher) politischer Formen abbrach und in der zu “Mauerfall” und “Deutscher Einheit” verkürzten Geschichte sprachlich kaum mehr greifbar ist. An diese Leerstelle tritt in meiner langjährigen künstlerischen Forschung, ausgehend von Dokumenten – z.B. aus dem Archiv der DDR-Opposition – und Körpern, die ich ebenfalls als Archive begreife, ein gestisches Vokabular. Zu dem Material aus der 1989/90-er Revolution gesellt sich dabei auch solches aus den jüngerer globalen Revolten ab 2011. Im Resonanzraum zwischen diesen Ereignissen formiert sich in meinem aktuellen Forschungs- und Ausstellungsprojekt ein eigenes künstlerisches Archiv revolutionärer Formen und Erfahrungen.

Andrea Wieloch: Museum Utopie und Alltag

Andrea Wieloch stellt die Ausstellungspraxis des Museum Utopie und Alltag vor, das das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv Beeskow vereint. Mit der „ersten sozialistischen Planstadt“ Eisenhüttenstadt tritt zudem das Themenfeld Städtebau in der DDR hinzu.

Sowohl Dokumentationszentrum als auch Kunstarchiv machten sich ab Anfang der 1990er Jahre, als dies noch Gegenstand heftiger Kontroversen war, für die Bewahrung und wissenschaftlich fundierte Vermittlung visueller und materieller Kultur der DDR stark und ermöglichen eine fundierte Auseinandersetzung mit Gesellschaftsentwürfen und Transformationsprozessen. Ausstellungen wie „Ohne Ende Anfang“ (2021/22), „Zeitumstellung“ (2021), und auch die aktuelle Ausstellung „PURe Visionen“ (2024/25) thematisieren nicht nur disparate Erinnerungen an die DDR, sondern auch den Umbau der Produktions- und Konsumverhältnisse unserer Gesellschaft. Schlussendlich legt die institutionelle Entwicklung selbst Zeugnis der sich wandelnden Rezeptionsgeschichte der neusten deutschen Geschichte ab und ist damit sowohl Akteur als auch Gegenstand der aktuellen Auseinandersetzung.

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